Anuradhapura war anderthalb Jahrtausende die Hauptstadt der Singhalesen, seit vorbuddhistischer Zeit und bis um das Jahr 1000 n.Chr. Eine wichtige Siedlungsstätte bestand hier sogar schon vor der Ankunft der Singhalesen, wovon erst Ausgrabungen des 21. Jahrhunderts mehr und mehr ans Tageslicht bringen.

Für die meisten Besucher heute ist Anuradhapura ein Heiligtum. Denn noch mehr Singhalesen als Ausländer begeben sich in diesen Ort. Acht der 16 Stätten, die mit den legendären Predigten des Buddha auf der Insel in Verbindung gebracht werden, liegen in Anuradhapura. Auch Sri Lankas ältester Reliquien-Stupa Thuparama und die erste Klostergründung Mahavihara befinden sich in Anuradhapura. Dem Mahavihara verdanken wir die einzige erhaltene vollständige Aufzeichnung der Heiligen Schriften des Buddhismus in einer indischen Sprache. Es wurde zudem die Wirkungsstätte des bedeutendsten buddhistischen Gelehrten Buddhaghosa und war nach dem Niedergang des Buddhismus in Indien von höchster Autorität für den Buddhismus Südostasiens. Im Zusammenhang der Gründung des Mahavihara erfolgte die Einführung eines Ablegers des Baums, unter dem der historische Buddha Shakyamuni die Erleuchtung gefunden haben soll. Dieser Bo-Baum von Anuradhapura gilt als der älteste datierbare von Menschen gepflanzte Baum der Welt, das Original in Indien ist seit Jahrhunderten eingegangen. Der heutige Baum der Erleuchtung am Ort des Geschehens im indischen Bodhgaya ist darum ein Ableger aus Anuradhapura. Der Bobaum Sri Lankas blieb Pilgerziel, als Anuradhapura längst vom Dschungel verschlungen war. Heute gehört er zu den drei bedeutendsten Pilgerzielen der Insel neben dem Götterschrein von Kataragama und dem Heiligen Zahn in Kandy. Doch auch der erste Zahntempel der Insel befand sich in Anuradhapura. Seit die Erschließung der Mahavansa-Chronik durch die Briten ihnen die Identifizierung der Ruinen Anuradhapuras mit den Stationen der darin berichteten Landesgeschichte erlaubte, wurden auch Anuradhapuras andere antike Heiligtümer wieder zu Haupt-Wallfahrtszielen der modernen Singhalesen. Die Ausgrabungs- und Restaurierungsarbeiten sind noch lange nicht abgeschlossen.

Für den westlichen  Besucher Sri Lankas ist Anuradhapura die wichtigste Fundstätte für Schätze buddhistischer Kunst. Die größten Stupas und eine der berühmtesten Buddhafiguren der Welt sind hier zu sehen sowie die großartigsten Beispiele für den klassischen Reliefschmuck buddhistischer Tempel.

Die Fülle an Bauten, die Weitläufigkeit des Ausgrabungsgeländes und die religiöse und kunsthistorische Bedeutung machen Anuradhapura zu einer der wichtigsten Sehenswürdigkeiten Asiens, vergleichbar mit Angkor in Kambodscha oder Pagan in Birma. Doch der Reisende darf nicht erwarten, solch gut erhaltene Tempelberge als Fotomotive anzutreffen wie dort. Anuradhapura ist tausend Jahre älter und war fast schon verfallen, als Pagan erst gegründet wurde. In Anuradhapura braucht der Besucher Interesse am Detail und an religiöser Geschichte, um den Ort schätzen zu lernen, denn spektakulär sind hier die meisten Sehenswürdigkeiten nicht, wenn man einmal von den vier weltweit größten Bauwerken aus gebrannten Ziegeln absieht, die die Dimensionen von Pyramiden erreichen. Touristische Geheimtipps sind zwei Kunstschätze in romantischer Umgebung, der Klosterfelsen Vessagiriya im äußersten Süden und die historische Steinbrücke (Foto) im äußersten Norden des Ausgrabungsgeländes, 10 km voneinander entfernt.

Für eine Erkundung Anuradhapuras braucht man Zeit und ein Fahrzeug. Die einzelnen Ziele liegen weit auseinander, einige sind schwer zu finden. Ein ortskundiger Führer kann einem darum viel Mühen und vergebliche Suche ersparen. Für Individualreisende ist eine Alternative zum motorisierten Vehikel das Fahrrad. Das Gelände ist eben und schattig. Aber wegen der Entfernungen und der Hitze ist ein Besuch der vielen Sehenswürdigkeiten Anuradhapuras nie ein Spaziergang.

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